Neuigkeiten - Recht

Erlass von Kaufpreisraten: Benachteiligung der Vertragserben nur bei missbräuchlichen Schenkungen

Durch einen Erbvertrag wird das Recht des Erblassers, über sein Vermögen zu Lebzeiten zu verfügen, nicht eingeschränkt. Eine Ausnahme gilt dann, wenn der Erblasser zu Lebzeiten eine Schenkung gemacht hat, um den oder die Vertragserben zu beeinträchtigen. In diesem Fall kann der Erbe von dem Beschenkten die Herausgabe des Geschenks verlangen. Diese rechtliche Konstellation war Gegenstand eines Rechtsstreits vor dem Oberlandesgericht Oldenburg (OLG).

Durch einen Erbvertrag wird das Recht des Erblassers, über sein Vermögen zu Lebzeiten zu verfügen, nicht eingeschränkt. Eine Ausnahme gilt dann, wenn der Erblasser zu Lebzeiten eine Schenkung gemacht hat, um den oder die Vertragserben zu beeinträchtigen. In diesem Fall kann der Erbe von dem Beschenkten die Herausgabe des Geschenks verlangen. Diese rechtliche Konstellation war Gegenstand eines Rechtsstreits vor dem Oberlandesgericht Oldenburg (OLG).

Die Erblasserin veräußerte im Jahre 2014 ihren Grundbesitz zu einem Kaufpreis von 300.000 EUR an den Sohn. Der Kaufvertrag sah eine zinslose Stundung des Kaufpreises vor. Der Sohn war dazu verpflichtet, monatliche Tilgungsbeiträge zu je 2.000 EUR zu leisten. Im Jahr 2015 setzten sich die Eltern wechselseitig zu Alleinerben und die Tochter zur Schlusserbin nach dem Längstlebenden ein. Im Wege eines Vermächtnisses verfügten sie, dass nach dem Tod des Längstlebenden der restliche Kaufpreis des Grundstücks erlassen werde. Nach dem Tod des Ehemanns setzte die Erblasserin hingegen bereits im Jahr 2021 ein Schriftstück auf, in dem sie erklärte, dass sowohl sie als auch ihr Mann gegenüber dem Sohn auf die Zahlung des restlichen Kaufpreises verzichtet hätten. Die Tochter war nach dem Tod der Mutter der Ansicht, dass dieser Verzicht eine missbräuchliche Benachteiligung ihrer Erbenstellung sei, da bei einer Fortzahlung der Kaufpreisraten diese zum Teil der Erbmasse geworden wären.

Dieser Ansicht schloss sich das OLG im Ergebnis jedoch nicht an. Zunächst stellte es klar, dass ein Erblasser über sein Vermögen unter Lebenden grundsätzlich frei verfügen kann - auch wenn er durch einen Erbvertrag eine Verfügung von Todes wegen festgelegt hat. Nur ausnahmsweise ist diese Freiheit eingeschränkt - und zwar, wenn die Schenkungen in der Absicht erfolgen, den Vertragserben missbräuchlich zu benachteiligen. Es kommt laut OLG darauf an, ob die Schenkung auf eine Korrektur des Erbvertrags angelegt war. Das wird angenommen, wenn der Erblasser ohne ein anerkennenswertes lebzeitiges Eigeninteresse wesentliche Vermögenswerte anderen zuwendet. Hier konnte das OLG aber darauf abstellen, dass sich sowohl der Sohn als auch die Tochter umfangreich um die Erblasserin und den vorverstorbenen Vater gekümmert hatten und der Lebensunterhalt der Eltern auch ohne die monatlichen Raten gesichert war. Deshalb war der Erlass der Kaufpreisraten als sittlich billigenswert anzuerkennen. Die Schwester hatte damit keinen Anspruch auf weitere Kaufpreisraten für das Grundstück.

Hinweis: Der Beschenkte muss die Umstände darlegen, die auf ein berechtigtes Interesse des Erblassers schließen lassen. Anschließend trifft den Vertragserben die Beweislast dafür, dass es sich um eine nicht billigenswerte Beeinträchtigung des Vertragserben handelt.


Quelle: OLG Oldenburg, Beschl. v. 10.07.2024 - 3 U 14/24
zum Thema: Erbrecht

(aus: Ausgabe 09/2024)

Zusammenspiel von Versorgungsausgleich und Unterhalt: Versorgungsausgleichsanteil der Rente prägt nicht den ehelichen Bedarf

Bei der Unterhaltsberechnung wird zwischen "ehelichem Bedarf" und "Bedürftigkeit" unterschieden. Aus dem Bedarf ergibt sich, was am Ende zur Verfügung stehen muss, bei der Bedürftigkeit wird das Eigeneinkommen angerechnet. In einfachen Fällen sind die Beträge bei Bedarf und Bedürftigkeit identisch. Wenn der Berechtigte berentet ist und vom Versorgungsausgleich profitiert, während der Pflichtige noch berufstätig ist und keine aktuelle Kürzung hinnehmen muss, kommt es zu Terminen wie hier vor dem Brandenburgischen Oberlandesgericht (OLG).

Bei der Unterhaltsberechnung wird zwischen "ehelichem Bedarf" und "Bedürftigkeit" unterschieden. Aus dem Bedarf ergibt sich, was am Ende zur Verfügung stehen muss, bei der Bedürftigkeit wird das Eigeneinkommen angerechnet. In einfachen Fällen sind die Beträge bei Bedarf und Bedürftigkeit identisch. Wenn der Berechtigte berentet ist und vom Versorgungsausgleich profitiert, während der Pflichtige noch berufstätig ist und keine aktuelle Kürzung hinnehmen muss, kommt es zu Terminen wie hier vor dem Brandenburgischen Oberlandesgericht (OLG).

Die 59 Jahre alte Ehefrau bezog bereits seit zehn Jahren eine volle Erwerbsminderungsrente von monatlich rund 1.400 EUR. Ein Minjob war ihr gemäß einem ärztlichen Gutachten nicht zumutbar, weil sie nach einer Darmkrebserkrankung unter Stuhlinkontinenz litt und aus Scham ihre Wohnung kaum verließ. Nun verlangte sie nach 28 Ehejahren dauerhaft Nachscheidungsunterhalt. Ihr Mann wollte gar nichts zahlen -  und wenn doch, dann nicht lange. Durch den Versorgungsausgleich erhöhte sich die Rente der Ehefrau nun um monatlich 250 EUR, und das OLG nahm sich der Aufgabe an, zu berechnen, was das bedeutet.

In dieser Konstellation beinhaltete das, dass nur der kleine selbsterarbeitete Rentenbetrag von 1.400 EUR  zusammen mit dem Einkommen des Mannes (hier 2.400 EUR) den ehelichen Bedarf prägte. Davon wurde aber der volle Rentenbetrag inklusive des Versorgungsausgleichs (mithin 1.650 EUR) abgezogen. Mit diesen Zahlen kämen demnach 250 EUR Unterhalt heraus. Diesen Unterhalt begrenzte das OLG zudem trotz der langen Ehedauer auf vier Jahre, da die ehebedingten Nachteile durch den Versorgungsausgleich bereits aufgefangen worden waren.

Hinweis: Es gibt keine Rechenformel, nach der sich aus einer gewissen Ehedauer ein Zeitraum für Nachscheidungsunterhalt ergibt, das hat das OLG wieder betont. Abwägungskriterien für die konkrete Bestimmung einer Übergangsfrist sind neben dem Alter des Unterhaltsberechtigten die Einkommensverhältnisse des Unterhaltspflichtigen, die Länge des Zeitraums, in dem bereits Trennungsunterhalt gezahlt wird, sowie die beiderseitigen Vermögensverhältnisse.


Quelle: Brandenburgisches OLG, Beschl. v. 12.06.2024 - 13 UF 153/21
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 09/2024)

Arbeitnehmerrechte gestärkt: Regelmäßig befristete Arbeitszeiterhöhungen können rechtswidrig sein

Dass Arbeitgeber manchmal auf merkwürdige Ideen kommen, ist nichts Neues. Dennoch darf der folgende Versuch, prinzipiell befristete Arbeitszeiterhöhungen anzubieten, überraschen. Denn das Arbeitsgericht Köln (ArbG) musste sich die Stadt Köln selbst als beklagte Arbeitgeberin vornehmen.

Dass Arbeitgeber manchmal auf merkwürdige Ideen kommen, ist nichts Neues. Dennoch darf der folgende Versuch, prinzipiell befristete Arbeitszeiterhöhungen anzubieten, überraschen. Denn das Arbeitsgericht Köln (ArbG) musste sich die Stadt Köln selbst als beklagte Arbeitgeberin vornehmen.

Die Stadt Köln bietet seit dem Jahr 2013 grundsätzlich nur unbefristete Teilzeittätigkeiten und darüber hinaus regelmäßig befristete Arbeitszeiterhöhungen an, um dann bei einer Bewährung eine unbefristete Vollzeitstelle zu ermöglichen. Ein bei ihr als "Call-Center-Agent Bürgerdienste" angestellter Mann hatte nun aber die unbefristete Erhöhung seiner Arbeitszeit um 25 % beantragt. Hier war die Arbeitgeberin mit der Qualität der Arbeit des Mitarbeiters nicht einverstanden und nahm dies zum Anlass, ihm nur eine befristete Arbeitszeiterhöhung anzubieten. Daraufhin klagte der Arbeitnehmer und meinte, die Ablehnung der unbefristeten Arbeitszeiterhöhung sei ohne sachlichen Grund unwirksam.

Das sah das ArbG genauso und entschied, dass der Arbeitnehmer einen Anspruch auf eine unbefristete Beschäftigung von 100 % bei einer tariflichen Arbeitszeit von 39 Wochenstunden habe. Zur Begründung berief sich das Gericht darauf, dass der Arbeitgeber einen sachlichen Grund vorweisen müsse, wenn er die Arbeitszeit eines unbefristeten Teilzeitarbeitsverhältnisses dauerhaft für einen befristeten Zeitraum um mindestens 25 % aufstocke. Das sei notwendig, damit nicht eine unzulässige Umgehung des gesetzlichen Befristungsrechts drohe, wenn der Grundarbeitsvertrag nur mit einem relativ geringen Stundenanteil geschlossen werde, faktisch allerdings eine Vollzeittätigkeit ausgeübt wird, deren Verlängerung der Arbeitgeber sich aber immer wieder erneut vorbehält. Und eben jenen Umstand sah das Gericht hier auch als gegeben an.

Hinweis: Die befristete Erhöhung der Arbeitszeit bringt also für den Arbeitgeber stets Risiken mit sich. Im Zweifel kann der Rechtsanwalt des Vertrauens weiterhelfen - und zwar auf beiden Seiten.


Quelle: ArbG Köln, Urt. v. 25.04.2024 - 8 Ca 423/24
zum Thema: Arbeitsrecht

(aus: Ausgabe 09/2024)

Kündigung Schwangerer: EuGH hält Klagefrist von lediglich zwei Wochen für zu kurz

Grundsätzlich muss binnen drei Wochen nach Zugang der Kündigung eine dagegen gerichtete Klage vor dem Arbeitsgericht eingegangen sein. Was aber, wenn eine schwangere Arbeitnehmerin, der gekündigt wird, gar nicht weiß, dass sie schwanger ist? Dann muss sie nach dem Gesetz binnen zwei Wochen nach Kenntniserlangung von der Schwangerschaft die Klage einreichen. Ob diese Frist lang genug ist, musste der Europäische Gerichtshof (EuGH) klären.

Grundsätzlich muss binnen drei Wochen nach Zugang der Kündigung eine dagegen gerichtete Klage vor dem Arbeitsgericht eingegangen sein. Was aber, wenn eine schwangere Arbeitnehmerin, der gekündigt wird, gar nicht weiß, dass sie schwanger ist? Dann muss sie nach dem Gesetz binnen zwei Wochen nach Kenntniserlangung von der Schwangerschaft die Klage einreichen. Ob diese Frist lang genug ist, musste der Europäische Gerichtshof (EuGH) klären.

Die Angestellte eines Pflegeheims klagte gegen ihre Kündigung. Als sie ihre Kündigungsschutzklage eingereicht hatte, war die dreiwöchige Frist zum Einreichen der Klage bereits überschritten, was daran lag, dass sie erst danach von ihrer Schwangerschaft Kenntnis erlangt hatte. Zudem hatte sie nun aber auch die weitere Frist von zwei Wochen für den Antrag auf Zulassung der verspäteten Klage verpasst. Nun wollte das hiermit befasste deutsche Gericht vom EuGH wissen, ob diese Frist nicht zu kurz sei, und ob sie mit der EU-Richtlinie über schwangere Arbeitnehmerinnen überhaupt vereinbar sei.

Der EuGH entschied, dass die deutsche Zweiwochenfrist mit dem europäischen Recht nicht vereinbar sei. Das begründete der EuGH damit, dass sie dem Effektivitätsgrundsatz nicht genüge. Nach der deutschen Regelung verfüge eine schwangere Arbeitnehmerin, die zum Zeitpunkt ihrer Kündigung Kenntnis von ihrer Schwangerschaft hat, über eine Frist von drei Wochen, um Klage zu erheben und ihre Rechte geltend zu machen. Hingegen habe eine Arbeitnehmerin, die vor Verstreichen dieser Frist von ihrer Schwangerschaft nichts weiß, nur zwei Wochen Zeit, um zu beantragen, eine solche Klage zu erheben. Welche Frist genau anzusetzen ist, muss nun das deutsche Gericht entscheiden - zwei Wochen sind jedoch zu kurz.

Hinweis: Die Entscheidung zeigt, wie wichtig es ist, Fristen einzuhalten. Eine Kündigungsschutzklage muss im Regelfall binnen drei Wochen nach Zugang der Kündigung beim Arbeitsgericht erhoben worden sein.


Quelle: EuGH, Urt. v. 27.06.2024 - C-284/23
zum Thema: Arbeitsrecht

(aus: Ausgabe 09/2024)

Stürmische Zeiten: Ein Sturmschaden muss der Kfz-Versicherung klar nachgewiesen werden

Wer sich gegen die unmittelbare Einwirkung von Sturm, Hagel, Blitzschlag oder Überschwemmung auf sein Fahrzeug absichert, sollte im Schadensfall keine "Pi-mal-Daumen"-Angaben machen, sondern konkrete Belege vorlegen. Denn sonst landet man mit seinen Ansprüchen schnell vor Gerichten wie dem Oberlandesgericht Nürnberg (OLG), denen nichts anderes übrig bleibt, als den ablehnenden Versicherern Recht zu geben.

Wer sich gegen die unmittelbare Einwirkung von Sturm, Hagel, Blitzschlag oder Überschwemmung auf sein Fahrzeug absichert, sollte im Schadensfall keine "Pi-mal-Daumen"-Angaben machen, sondern konkrete Belege vorlegen. Denn sonst landet man mit seinen Ansprüchen schnell vor Gerichten wie dem Oberlandesgericht Nürnberg (OLG), denen nichts anderes übrig bleibt, als den ablehnenden Versicherern Recht zu geben.

Der Kläger hatte bei der beklagten Versicherung eine Teilkaskoversicherung für seinen Kleintransporter abgeschlossen. Gegenüber der Versicherung machte er wegen eines Sturmschadens nun Schadensersatzansprüche geltend. Er behauptete, sein Fahrzeug sei wegen eines Sturms in der Zeit zwischen dem 17. und 21.02.2022 durch umherfliegende Gegenstände beschädigt worden. Das Fahrzeug war zu diesem Zeitpunkt auf einer öffentlichen Straße abgestellt. Die Versicherung lehnte die Regulierung jedoch ab.

Nachdem die hiergegen gerichtete Klage beim Landgericht erfolglos blieb, schloss sich auch das OLG dieser Aufassung an. Der Kläger konnte nämlich schlichtweg nicht beweisen, dass sein Fahrzeug während des Sturms beschädigt wurde. Nach allgemeinen Grundsätzen obliege dem Kläger der Nachweis des Eintritts eines Versicherungsfalls. Nach den Versicherungsbedingungen war unter anderem die unmittelbare Einwirkung von Sturm, Hagel, Blitzschlag oder Überschwemmung auf das Fahrzeug versichert. Eingeschlossen sind Schäden, die durch mindestens Windstärke 8 verursacht werden, wenn durch diese Naturgewalten Gegenstände auf oder gegen das Fahrzeug geworfen werden. Der Versicherungsnehmer muss dann sowohl das Vorliegen einer versicherten Naturgewalt als auch deren unmittelbare Einwirkung auf das Fahrzeug beweisen. Nach der Beweisaufnahme waren bereits der Schadenszeitpunkt und der konkrete Stellplatz des Fahrzeugs nicht zuverlässig feststellbar. Eine Beschädigung des Fahrzeugs durch Sturm war lediglich möglich - andere Ursachen konnten jedoch nicht ausgeschlossen werden.

Hinweis: Der Versicherungsnehmer hatte sich auf Beweiserleichterungen berufen, die insbesondere beim Kfz-Diebstahl gelten. Das Gericht weist allerdings zutreffend darauf hin, dass anders als beim Diebstahl, der in der Regel nicht beobachtet wird, Naturgewalten sowohl von Zeugen als auch durch festgestellte Beschädigungen nachgewiesen werden können.


Quelle: OLG Nürnberg, Beschl. v. 25.06.2024 - 8 U 775/24
zum Thema: Verkehrsrecht

(aus: Ausgabe 09/2024)

Dreifacher Regelbußgeldsatz: Verschlechterungsverbot schreibt Berücksichtigung auch wirtschaftlicher Umstände vor

Sicherlich stimmt die Mehrheit der Autofahrer zu, dass die Verhängung des Regelfahrverbots stets die schlimmste aller Strafen nach einem Geschwindigkeitsverstoß ist. Dennoch darf dieses Bauchgefühl nicht dazu führen, stattdessen die Geldbuße zu verdreifachen, ohne dafür alle Gesamtumstände zu berücksichtigen. Sonst sorgen Gerichte wie das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht (OLG) dafür, dass sich die Vorinstanzen nochmals der Sache annehmen müssen.

Sicherlich stimmt die Mehrheit der Autofahrer zu, dass die Verhängung des Regelfahrverbots stets die schlimmste aller Strafen nach einem Geschwindigkeitsverstoß ist. Dennoch darf dieses Bauchgefühl nicht dazu führen, stattdessen die Geldbuße zu verdreifachen, ohne dafür alle Gesamtumstände zu berücksichtigen. Sonst sorgen Gerichte wie das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht (OLG) dafür, dass sich die Vorinstanzen nochmals der Sache annehmen müssen.

Das Amtsgericht (AG) hatte gegen den Betroffenen wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 32 km/h eine Geldbuße von 600 EUR festgesetzt. Es hatte dabei von der Verhängung des Regelfahrverbots abgesehen und stattdessen die Geldbuße verdreifacht. Hiergegen richtete sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde. Die Generalstaatsanwaltschaft hatte beantragt, die Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen, da sie unter anderem davon ausgeht, dass es an einer Benachteiligung des Betroffenen fehle. Die vom AG vorgenommene Festsetzung der Geldbuße sei im Vergleich zum Fahrverbot das mildere Ahndungsmittel.

Das OLG sah dies aber anders. Zwar führe die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend aus, dass unter dem Aspekt des Verschlechterungsverbots eine (erhöhte) Geldbuße gegenüber einem Fahrverbot die mildere Sanktion sei. Zu klären sei jedoch stets, ob der Betroffene überhaupt beschwert sei - nur dann kann er ein Rechtsmittel gegen das Urteil des AG einlegen, wenn von der härteren Sanktion gegen Erhöhung der milderen Sanktion abgesehen wird. Hier lag die Beschwer des Betroffenen nach Auffassung des Senats bereits darin, dass die Geldbuße signifikant erhöht worden war, nämlich verdreifacht. Hierin liegt eine wirtschaftliche Beschwer innerhalb der verhängten Sanktion, die den Betroffenen zu Unrecht benachteiligen kann. Die Bußgeldkatalogverordnung regelt nämlich, dass bei einem Absehen vom Fahrverbot die Geldbuße angemessen erhöht werden solle. Mangels Feststellungen zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen konnte der Senat daher nicht überprüfen, ob die Erhöhung der Geldbuße um das Dreifache angemessen gewesen sei. Die Feststellung des AG "Die Verdreifachung der Regelgeldbuße erfolgte unter Berücksichtigung der Gesamtumstände" stelle eine inhaltslose Floskel dar, weil das Urteil sich nicht zu diesen "Gesamtumständen" verhält. Der Senat hatte den Fall daher zurück an das AG zur erneuten Verhandlung verwiesen.

Hinweis: Verhängt das Bußgeldgericht ein erhöhtes Bußgeld und sieht dabei von der Verhängung eines Fahrverbots ab, verstößt dies zwar nach allgemeiner Rechtsauffassung nicht gegen das Verschlechterungsverbot. Ist dieser Rechtsfolgenausspruch aber rechtsfehlerhaft, liegt hierin eine Beschwer des Betroffenen, weil die Erhöhung der Geldbuße innerhalb dieser Sanktionsform eine wirtschaftliche Belastung darstellt, so dass das Urteil zu seinem Nachteil auf diesem Rechtsfehler beruhen kann.


Quelle: Schleswig-Holsteinisches OLG, Beschl. v. 19.06.2024 - I ORbs 60/24
zum Thema: Verkehrsrecht

(aus: Ausgabe 09/2024)

Nach Geltendmachung des Vermächtnisses: Strenge Anforderungen an die Annahme, dass auf den Zusatzpflichtteil verzichtet wurde

Wird ein Pflichtteilsberechtigter mit einem Vermächtnis bedacht, kann er den Pflichtteil nur verlangen, wenn er das Vermächtnis ausschlägt. Tut er das nicht, steht ihm der Pflichtteil nur zu, soweit dessen Wert über dem des Vermächtnisses liegt (= Zusatzpflichtteil). Vor dem Oberlandesgericht Celle (OLG) ging es nun darum, ob ein Pflichtteilsberechtigter mit der vorbehaltlosen Geltendmachung des Vermächtnisses durch "schlüssiges Verhalten" auf diesen Zusatzpflichtteil verzichtet hatte.

Wird ein Pflichtteilsberechtigter mit einem Vermächtnis bedacht, kann er den Pflichtteil nur verlangen, wenn er das Vermächtnis ausschlägt. Tut er das nicht, steht ihm der Pflichtteil nur zu, soweit dessen Wert über dem des Vermächtnisses liegt (= Zusatzpflichtteil). Vor dem Oberlandesgericht Celle (OLG) ging es nun darum, ob ein Pflichtteilsberechtigter mit der vorbehaltlosen Geltendmachung des Vermächtnisses durch "schlüssiges Verhalten" auf diesen Zusatzpflichtteil verzichtet hatte.

Die pflichtteilsberechtigten Kinder des Erblassers waren von ihrem Vater aufgrund eines notariellen Testaments mit Vermächtnissen bedacht worden. Nach dem Tod des Vaters forderten sie die Alleinerbin - die Ehefrau aus zweiter Ehe - dazu auf, das Vermächtnis aus dem Verkauf eines Wertpapierdepots zu erfüllen. Dieser Verpflichtung kam die Erbin nach. In der Folge entstand ein Streit über die Wertermittlung von Immobilien im Nachlass des Erblassers. Die Alleinerbin war der Ansicht, diesen Wertermittlungsanspruch nicht erfüllen zu müssen, da die Kinder durch die Geltendmachung des Vermächtnisses ohnehin keinen Anspruch mehr als Pflichtteilsberechtigte geltend machen könnten.

Diese Auffassung teilte das OLG im Ergebnis nicht. Die Kinder hätten durch die Geltendmachung des Vermächtnisses weder ausdrücklich noch stillschweigend auf ihren Pflichtteil verzichtet. Hierfür wäre erforderlich gewesen, dass zwischen den Beteiligten unmissverständlich klar gewesen wäre, dass mit Annahme des Geldbetrags aus dem Vermächtnis keine Pflichtteilsansprüche mehr geltend gemacht werden. Entgegen der Ansicht der Erbin sei es auch nicht notwendig gewesen, sich bei der Annahme des Vermächtnisses die Geltendmachung von restlichen Pflichtteilsansprüchen ausdrücklich vorzubehalten. Das OLG hat die Erbin im Ergebnis daher dazu verpflichtet, die Wertgutachten für die Immobilien durch einen Sachverständigen ermitteln zu lassen.

Hinweis: Der Erbe kann dem Pflichtteilsberechtigten eine angemessene Frist zur Erklärung setzen, ob er das Vermächtnis annimmt. Läuft die Frist ohne eine solche Erklärung ab, gilt das Vermächtnis als ausgeschlagen.


Quelle: OLG Celle, Urt. v. 29.07.2024 - 6 U 51/23
zum Thema: Erbrecht

(aus: Ausgabe 09/2024)

Prozesstaktik bei besonderer Konstellation: Über den Verfahrenswert im vorzeitigen Zugewinnausgleich

Üblicherweise wird mit der Ehescheidung darüber entschieden, wie viel Zugewinn die Eheleute gemacht haben und wem ein Ausgleich zusteht. Wenn es um große Summen geht - im Fall des Oberlandesgericht Nürnberg (OLG) um mehr als 2 Mio. EUR Ausgleichsforderung -, lohnt es sich für den Ausgleichsberechtigten, über einen anderen prozessualen Verlauf nachzudenken, um vor der Scheidung schon in Genuss der schnellen Ausgleichszahlung oder einer guten Verzinsung zu kommen.

Üblicherweise wird mit der Ehescheidung darüber entschieden, wie viel Zugewinn die Eheleute gemacht haben und wem ein Ausgleich zusteht. Wenn es um große Summen geht - im Fall des Oberlandesgericht Nürnberg (OLG) um mehr als 2 Mio. EUR Ausgleichsforderung -, lohnt es sich für den Ausgleichsberechtigten, über einen anderen prozessualen Verlauf nachzudenken, um vor der Scheidung schon in Genuss der schnellen Ausgleichszahlung oder einer guten Verzinsung zu kommen.

Das Anliegen der Antragstellerin beschränkte sich hier auf das Fälligkeitsinteresse. Dieses Interesse ist in Abhängigkeit von der Ausgleichsforderung und der zu erwartenden Dauer bis zur Rechtskraft des Scheidungsausspruchs zu schätzen. Weil auch dieses (Zins-)Interesse von der Höhe des zu erwartenden Zugewinnausgleichs abhängt, kann hiervon ein Bruchteil angesetzt werden. Dieser Bruchteil ist in der Regel geringer als mit einem Viertel des voraussichtlichen Anspruchs zu bewerten, weil angesichts des rechtshängigen Scheidungsverfahrens zu erwarten ist, dass die Ehe ohnehin in nicht allzu ferner Zeit aufgelöst wird. Im hier zu entscheidenden Fall hätte aber die Ermittlung der Immobilienwerte zu einer erheblichen Verzögerung des Scheidungsverbundverfahrens führen können. Der Senat schätzte die zu erwartende Ausgleichsforderung anhand der (bislang) unwidersprochenen Angaben der Ehefrau auf mindestens 2.035.000 EUR und setzt den Verfahrenswert auf 10 % hiervon fest.

Hinweis: Ein solches Verfahren kann man immer dann einleiten, wenn die Trennung mehr als 36 Monate her ist - sogar ohne dass ein Scheidungsverfahren läuft oder ohne dass man jemals geschieden werden möchte.


Quelle: OLG Nürnberg, Beschl. v. 05.07.2024 - 11 UF 560/24
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 09/2024)

Schwammige Umgangsvereinbarung: Kein Ordnungsgeld nach zufälligen Treffen

Ein Gerichtsbeschluss nutzt nur dann etwas, wenn man ihn auch durchsetzen kann oder aus der Nichtbefolgung Nachteile entstehen. Das Oberlandesgericht Karlsruhe (OLG) machte in seiner Entscheidung nochmal deutlich, dass klare Fomulierungen unerlässlich für die Durchsetzbarkeit von Beschlüssen sind.

Ein Gerichtsbeschluss nutzt nur dann etwas, wenn man ihn auch durchsetzen kann oder aus der Nichtbefolgung Nachteile entstehen. Das Oberlandesgericht Karlsruhe (OLG) machte in seiner Entscheidung nochmal deutlich, dass klare Fomulierungen unerlässlich für die Durchsetzbarkeit von Beschlüssen sind.

Eine Mutter wollte gegen den Vater ihrer Kinder ein Ordnungsgeld festsetzen lassen. Ein Kind wohnte bei ihr, das andere beim Vater, und der jeweilige Kontakt zum anderen Elternteil war streitig gewesen. Einen Monat zuvor hatten die Eltern mit gerichtlicher Hilfe eine Einigung zu Protokoll gebracht, die das Familiengericht per Beschluss gebilligt und die Beteiligten darauf hingewiesen hatte, dass für jeden Fall der Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld bis zu 25.000 EUR - ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten - verhängt werden könne. In der Umgangsvereinbarung hatte es eine genaue Regelung der Umgangszeiten beider Eltern gegeben und zum Abschluss die Formulierung: "Darüber hinaus sind sich die Eltern einig, dass außerhalb der vereinbarten Umgangszeiten kein Kontakt zu dem jeweiligen Kind gesucht wird." Die Mutter warf dem Vater nun vor, hiergegen fortlaufend zu verstoßen und das Kind, das bei ihr wohnte, an der Schule abzufangen. Das Problem hierbei: Beide Kinder besuchten dieselbe Schule.

Das OLG lehnte die Festsetzung eines Ordnungsmittels ab, weil die Vereinbarung nicht so konkret gefasst worden war, dass man dem Vater einen Verstoß vorwerfen könne. Gerade weil das bei ihm lebende Kind dieselbe Schule wie sein Geschwisterkind besuche, könne man ohne nähere Konkretisierung nicht beurteilen, ob Kontakt "gesucht" worden sei oder ob es sich um zufällige Begegnungen gehandelt habe. Das Suchen von Kontakt impliziere ein aktives Tun zur Herbeiführung des Kontakts. Eine Verpflichtung, zufällige Kontakte zu verhindern oder durch aktives Entfernen abzubrechen, sei der Vereinbarung nicht zu entnehmen.

Hinweis: Wer Wert auf ein solches Kontaktverbot legt, muss schon beim Formulieren des Vereinbarungstexts darauf achten, dass es so bestimmt und unzweideutig ist, dass es dadurch vollstreckungsfähig wird.
 
 


Quelle: OLG Karlsruhe, Beschl. v. 12.07.2024 - 18 WF 14/24
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 09/2024)

Sittliche Pflicht: Bürgergeldbezieher müssen keinen Kindesunterhalt aus Geld für häusliche Pflege zahlen

Wenn ein Unterhaltspflichtiger den Kindesunterhalt nicht leisten kann, springt zumeist die Unterhaltsvorschusskasse des Jugendamts ein. Ob Unterhaltspflichtige, die neben Bürgergeld zusätzlich Geld für eine häusliche Pflege bekommen, davon Unterhalt zu zahlen haben, klärte das Oberlandesgericht Bamberg (OLG)

Wenn ein Unterhaltspflichtiger den Kindesunterhalt nicht leisten kann, springt zumeist die Unterhaltsvorschusskasse des Jugendamts ein. Ob Unterhaltspflichtige, die neben Bürgergeld zusätzlich Geld für eine häusliche Pflege bekommen, davon Unterhalt zu zahlen haben, klärte das Oberlandesgericht Bamberg (OLG)

Hier ging es um die Mutter eines minderjährigen Kindes, die von Bürgergeld lebte. Das Kind wohnte beim Vater. Zusätzlich bekam die Frau von der Mutter ihres Lebensgefährten, die mit im Haushalt wohnte, Geld als Gegenleistung für häusliche Pflege und als Zuschuss zu den Lebenshaltungskosten. Trotz dieses Zusatzverdiensts zahlte die Mutter keinen Kindesunterhalt. Daher sprang die Unterhaltsvorschusskasse beim Jugendamt ein und verklagte die Mutter auf Regress der übergegangenen Unterhaltsansprüche. Dieses Verfahren verlor das Jugendamt jedoch.

Laut OLG sind die Zahlungen nicht als Einkommen zu qualifizieren. Die Pflegeleistungen werden aufgrund einer anzuerkennenden engen persönlichen Beziehung im Rahmen einer bestehenden sittlichen Pflicht erbracht, weshalb diese Einnahmen kein neben dem Bürgergeldbezug zu berücksichtigendes Einkommen sind.

Hinweis: Das bedeutet übrigens nicht, dass aus Sicht des Kindes nicht geprüft werden könnte, ob die Mutter fiktiv leistungsfähig ist, weil sie zum Mindestlohn erwerbstätig sein könnte und ihre Erwerbsobliegenheit verletzt. Diese Überlegung steht aber nur dem Unterhaltsberechtigten selbst zu, nicht der Unterhaltsvorschusskasse.


Quelle: OLG Bamberg, Beschl. v. 19.07.2024 - 2 UF 43/24 e
zum Thema: Familienrecht

(aus: Ausgabe 09/2024)